Philosophie


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Mystik der Bescheidenheit. Der Maler Fritz Laible


Malsch ist nicht Murnau, und auch Worpswede hat sicherlich mehr Kunst gesehen. Gleichviel, im Gegensatz zu den meisten Nachbarörtchen südlich von Karlsruhe blieb hier zwischen viel Landwirtschaft und etwas Industrie eine Lücke frei für Geistiges. Am Dorfrand, halb versteckt im Waldboden, liegt der Modellbau für Rudolf Steiners Goetheaneum, mit Hingabe gestaltet von der kunstsinnigen Familie Stockmeyer. Als Laible nach dem Zweiten Weltkrieg zu malen beginnt, lebt noch Theodor Schindler im Ort, ehedem Vorzugsschüler der Großherzoglichen Akademie. Und in Grötzingen, keine 20 Kilometer an den Nordausläufern des Schwarzwalds entlang, sind noch Reste einer Malerkolonie erhalten.
Fritz Laible hat das alles gewusst, seine Kontakte gepflegt, seine Gottheiten am Kunsthimmel gehabt: Matisse, Braque, Van Gogh, später Cézanne. Viel wichtiger für seine Arbeiten ist das Phänomen der künstlerischen Selbsterziehung. Der Begabte lernt malen bei Studienrat Werner Koch, ebenfalls in Malsch ansässig, rezipiert Hubbuch, auch Wachter, doch seine über 1000 Werke schafft er als Autodidakt. In 90% der Fälle verzichtet er darauf, sie zu signieren. Die Gründe sind philosophischer Natur; wenn man sich darauf einlässt, muss einem dieses unaufgeregte Verfahren unweigerlich sympathisch werden. Temperantia, die Mäßigung, zählte einst zu den Kardinaltugenden; in der

Kunstgeschichte dominieren die Lauten, die Egozentriker, die Narzissten – warum eigentlich immer noch? Wäre es nicht längst an der Zeit,
Kunstwerken einen anderen, einen ruhevolleren Blick zu gönnen?
Nachdem die Avantgarden die Malerei bis zu ihrem Ende ausexperimentiert haben, bis nur noch Strich oder Punkt übrigblieb, besteht die Chance, den Ausdrucksformen jenseits der Sensation sich neu zuzuwenden. Wenn Fritz Laible eine Dorfstraße malt, stellt er sich in den Dienst der Wiedergabe: nicht bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert
und fotorealistisch schon gar nicht. Eine Wahrnehmungsweise liegt zugrunde, die an ostasiatische Herangehensweisen erinnert: lange Betrachtung, Konzentration aufs Wesentliche. Das kann eine Stimmung sein, ein Farbklang, eine Bewegung. Und damit ist auch schon gut; Laible meidet symbolische Aufdringlichkeit, zeichnerische Überinterpretation. Vieles bleibt dem Publikum überlassen – einem theoretischen Publikum allerdings in jeder Hinsicht: Der Bescheidene will nicht ausgestellt werden. Man darf das nicht verwechseln: Diese Unlust, mit den Prominenten zu konkurrieren, beruht nicht auf Selbstabwertung. „Ich weiß, wo ich stehe“, kommentiert Fritz Laible seinen Status. Früh stirbt der Vater, die Familie lebt in bescheidenen Verhältnissen; zeitlebens sieht er keine Notwendigkeit, die am eigenen Leibe erlebte Not durch Exzesse zu kompensieren, auch nicht, nachdem sich (fast gegen seinen Willen) erste Erfolge einstellen. Stattdessen entwickelt er sich in Zurückgezogenheit weiter, erprobt noch im Alter Verfahren wie die Monotypie, lotet die Landschaftsmalerei auf abstrakte Möglichkeiten aus. Seine Bilder zeigen sich verpflichtet einer Metaphysik der Stille, einer Ästhetik der Stimmigkeit. Vielleicht finden auch wir Heutigen in der Betrachtung etwas von dem, was die Grundlage war für Laibles Schaffen: Ruhe und Selbstgewissheit sowie Souveränität gegenüber den Anfechtungen des Alltags.



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